Beiderseits des Atlantiks wurden die ersten Schätzungen für das BIP im dritten Quartal bekannt gegeben. Gelinde gesagt fällt der Vergleich für den alten Kontinent nicht schmeichelhaft aus. Während das Wachstum in der Europäischen Union leicht zurückgeht (das annualisierte Quartalswachstum, kurz QoQ, liegt bei –0,1 Prozent), weisen die USA eine sehr starke Expansion auf (QoQ von +4,9 Prozent).

Die Normalisierung der Geldpolitik setzte in den USA früher ein als in Europa und die Zinssteigerung war dort heftiger. Daher ist die Frage legitim, warum dies keinen Effekt auf die amerikanische Wirtschaft gehabt zu haben scheint. Selbst wenn der FED-Chef Jerome Powell daran erinnert, dass die Übertragung der Geldpolitik stets mit Zeitverzögerung erfolgt („monetary policy works with ,long and variable lags‘“), überrascht die Feststellung, dass die amerikanische Wirtschaft 18 Monate nach der ersten Leitzinserhöhung kein Zeichen der Abschwächung zeigt. Diese Probleme bei der „Übertragung“ lassen sich anhand der amerikanischen Unternehmen und Haushalte aufzeigen.

Die amerikanischen Haushalte

Die Besonderheit dieses geldpolitischen Straffungszyklus liegt insbesondere darin, dass die finanziellen Verbindlichkeiten der beiden wirtschaftlichen Akteure im Vergleich zu den vorherigen Krisen stark verzerrt sind. Die große Finanzkrise von 2008 und die darauffolgenden Jahre der quantitativen Lockerung sorgten für eine kräftige Zinssenkung und veranlassten die Haushalte, sich für feste Zinssätze bei Darlehen und insbesondere bei Hypothekendarlehen zu entscheiden.

Daher wirkte sich die starke Zinsanhebung der letzten zwei Jahre quasi nicht auf diese finanziellen Verbindlichkeiten aus. Während die Hypothekenzinsen explodieren (für einen Standardkredit über 30 Jahre liegen sie bei nahezu 8 Prozent) und der Abschluss neuer Hypothekendarlehen einbricht, entstehen für die bestehenden Hypothekendarlehen daraus keine Konsequenzen.

Da die amerikanischen Haushalte in der Covid-Krise zugleich ein „erzwungenes“ Sparguthaben von mehr als 2 000 Milliarden aufgebaut hatten, konnten sie tief in die Spardose greifen, um trotz der hohen Inflation der letzten Jahre ein hohes Konsumniveau zu halten.

Die amerikanischen Unternehmen

Die amerikanischen Unternehmen – insbesondere die großen – nutzten ebenfalls die Phase der sehr niedrigen Zinsen, um festverzinsliche Anleihen zu begeben und die Laufzeit ihrer Schulden zu verlängern (in einer kürzlich veröffentlichten Studie von JP Morgan liegt die mittlere gewichtete Laufzeit bei Unternehmen, die im S&P 1500 gelistet sind und nicht dem Finanzsektor angehören, bei 11,5 Jahren).

Genau wie bei den Hypothekendarlehen werden neue Anleihen zu einem viel höheren Zinssatz begeben. Dank der seit der Covid-Krise angesammelten Liquidität konnten die Unternehmen bisher jedoch Neuemissionen hinauszögern.

Somit sind ihre Zinszahlungen in den vergangenen Monaten nur moderat gestiegen und der Anstieg dürfte im Folgenden gemäßigt bleiben, da die Unternehmen pro Jahr im Schnitt nur rund 10 Prozent ihrer bestehenden Verbindlichkeiten refinanzieren müssen.

Parallel dazu profitieren sie bei ihrem gesamten angelegten Cashflow sofort vom starken Anstieg der Zinsen für amerikanische Anleihen mit kurzer Laufzeit (über 5 Prozent beim Tagesgeldsatz).

Dieses Phänomen führte zu einer paradoxen Situation, da die Nettozinsbelastung (Differenz aus gezahlten und erhaltenen Zinsen) der amerikanischen Unternehmen sank, obwohl die Zinsen in die Höhe kletterten und diese Bewegung durch die starke Inversion der Zinskurve in diesem Jahr verstärkt wurde. Die Differenz zwischen dem 3-Monats-Zinssatz (stellvertretend für die Einlagenzinsen) und dem Zinssatz für 10-jährige Anleihen (Referenz für die langfristigen Anleihen) erreichte diesen Sommer fast 200 Basispunkte und hob de facto die Marge bei der Vergütung auf, welche die Unternehmen ihren Anleihenehmern im Vergleich zu den „risikolosen“ Zinsen der Staatsanleihen bieten müssen („Credit Spread“).

Natürlich sind diese Phänomene Durchschnittswerte und betreffen nicht alle wirtschaftlichen Akteure gleichermaßen. Einige unter ihnen leiden bereits stark unter den Zinsanhebungen (insbesondere einkommensschwache Haushalte oder kleine Unternehmen). Dennoch wird sich die Geldpolitik letztlich auf die gesamte Wirtschaft auswirken, auch wenn sie sich aktuell in geringem Maße auf sie überträgt. Der Prozess wird nur sehr viel mehr Zeit benötigen als in der Vergangenheit. Daher stellt sich die Frage, wie stark diese Abschwächung ausfallen wird und ob die anderen großen Wirtschaftsräume (Europa, China, Schwellenländer usw.), die bisher eine Abschwächung erleben, eine erneute „Desynchronisierung“ der restlichen Welt von den USA zulassen und somit auch ein stabil bleibendes globales Wachstum.

Geldpolitik und Wachstum in den USA : Besteht ein Problem bei der „Übertragung“?

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