Der Aufstieg der Kernenergie im globalen Energie-, Wirtschafts- und geopolitischen Kontext ist zu einem unumgänglichen Thema geworden. Während die Dekarbonisierungsziele den Übergang zu einer saubereren und zuverlässigeren Energie beschleunigen, überdenken mehrere Schlüsselstaaten ihre Haltung gegenüber dieser umstrittenen Technologie.

Trotz einer Vergangenheit, die von Vorfällen und berechtigten Umweltbedenken geprägt ist, deuten wachsende Investitionen auf eine allmähliche Rehabilitierung der Kernenergie in den aktuellen Energiestrategien hin.

Kernenergie unter dem ESG-Blickwinkel: zwischen Chancen und Kontroversen

Die Kernenergie verkörpert ein Paradoxon innerhalb Europas und der Welt der nachhaltigen Finanzwirtschaft. Aus ökologischer Sicht zeichnet sie sich durch einen geringen CO₂-Fußabdruck aus und trägt wirksam zur Bekämpfung des Klimawandels bei. Dennoch werfen die Entsorgung radioaktiver Abfälle, der enorme Wasserbedarf für die Kühlung von Reaktoren und die hohen Stilllegungskosten Fragen über ihre tatsächlichen ökologischen Auswirkungen auf.

Quelle: Mandarine Gestion, April 2025. Daten basierend auf Berichten der Internationalen Energieagentur (IEA) und des Weltklimarats (IPCC).

Im sozialen Bereich bleibt die nukleare Sicherheit eine große Herausforderung. Die Katastrophen von Tschernobyl (1986) und Fukushima (2011) verdeutlichen die potenziellen Folgen eines Unfalls für Mensch und Umwelt. Darüber hinaus variiert die gesellschaftliche Akzeptanz je nach Region, mit deutlichem Widerstand in einigen europäischen Ländern.

Im Bereich der Governance sind Transparenz und Verantwortung der Akteure im Nuklearbereich entscheidend, um ein rigoroses Risikomanagement zu gewährleisten und eine nachhaltige Produktion sicherzustellen. Ständige regulatorische und technologische Innovationen sind erforderlich, um das Vertrauen der Investoren zu stärken.

Kernenergie und grüne Taxonomie: das Thema, das die deutsch-französischen Beziehungen belastet

In Europa zeigt die Aufnahme der Kernenergie in die grüne Taxonomie der Europäischen Union (seit 2023) die Komplexität der Debatte. Während Länder wie Frankreich ihre strategische Rolle im Energiemix verteidigen, lehnen andere Staaten wie Österreich und Deutschland diese Einstufung ab. Die Klage vor dem Europäischen Gerichtshof verdeutlicht diese Meinungsverschiedenheit – so werfen die Grünen in Deutschland der EU-Kommission „Greenwashing“ vor, weil sie Kernenergie als „nachhaltige Lösung“ bezeichnet.

Zeitgleich wurden die letzten drei noch in Betrieb befindlichen Kernkraftwerke in Deutschland (mit einer Gesamtleistung von 4055 MW) am 15. April 2023 endgültig abgeschaltet – 21 Jahre nach dem politischen Atomausstieg.

In Frankreich profitiert die Nuklearindustrie im Rahmen des Investitionsplans France 2030 von 1,2 Milliarden Euro an öffentlichen Mitteln, um eine souveräne und nachhaltige Industrie aufzubauen – mit Fokus auf Innovation, der Entwicklung kleiner Reaktoren und Ausbildungsprogrammen.

In Berlin (wie auch in Rom), wo man jahrelang auf russisches Gas angewiesen war, ist die Rückkehr zur Kernkraft kein Tabuthema mehr. Noch ist nichts entschieden – der Konflikt mit Russland könnte auch anderen Brennstoffen zugutekommen, etwa der Kohle, die weit klimaschädlicher ist als Uran.

Auswirkungen auf ESG-Investitionen: zwischen Ausschluss und Integration

Diese Gegensätze beeinflussen direkt die Strategien von ESG-Fonds, die oft durch nationale Zertifizierungsrichtlinien eingeschränkt sind. In Österreich und Deutschland schließen Zertifizierungen für nachhaltige Finanzen den Nuklearsektor größtenteils aus, was seine Attraktivität für privates Kapital verringert. Andere Akteure hingegen – insbesondere Vermögensverwalter – sehen in der Kernkraft einen wesentlichen Hebel der Energiewende und integrieren entsprechende Unternehmen in ihre Portfolios.

Zu den Unternehmen aus dem Nuklearsektor, die wir als Investitionschancen bevorzugen, zählen Spie (Wartung), Veolia Environnement (Abfallmanagement) und Dassault Systèmes (Projektplanung und -optimierung).

Quelle: Mandarine Gestion, April 2025. Daten aus ESG-Fondsberichten und EU-Datenbanken für nachhaltige Investitionen.

Perspektiven: auf dem Weg zur allgemeinen Re-Integration der Atomenergie?

Die Zukunft der Kernenergie in der nachhaltigen Finanzwelt wird von mehreren Schlüsselfaktoren abhängen:

Technologische Innovation, insbesondere die Entwicklung kleiner, modularer Reaktoren (SMRs), die als sicherer und flexibler gelten.
Verbesserung der Abfallbehandlung, um die langfristigen ökologischen Auswirkungen zu minimieren.
Stärkung der Sicherheitsnormen, um sowohl Investoren als auch die Öffentlichkeit zu beruhigen.

Wenn diese Herausforderungen gemeistert werden, könnte die Kernenergie nach und nach Legitimität innerhalb von ESG-Portfolios (Umwelt, Soziales, Governance) gewinnen und ein unverzichtbarer Pfeiler der Energiewende werden. Tatsächlich bietet sie eine kohlenstoffarme Energiequelle, die eine konstante und stabile Produktion gewährleistet – entscheidend, um Schwankungen erneuerbarer Energien wie Solar- und Windkraft auszugleichen. Investoren werden diese Entwicklungen genau beobachten müssen, um die Rolle der Kernenergie in einer nachhaltigen Energiezukunft zu bewerten.

Fertiggestellt am 25. April 2025
© Photo : Freepik / jplenio1

Kernenergie und grüne Finanzwirtschaft: Zankapfel oder mögliche Ehe?

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